Artgerechte Ernährung – für wen?

Artgerechte Ernährung – für wen?

Immer wieder begegnet uns der Begriff der „artgerechten Fütterung“ von Hunden. Man liest darüber in Büchern, Blogartikeln, Forenbeiträgen und Futtermittelverpackungen. Laut Duden bedeutet artgerecht „den Ansprüchen einer bestimmten Tierart genügend“. Aber was bedeutet eine artgerechte Ernährung für Hunde?

Das Bild, dass man einen Hund wie seinen Vorfahren den Wolf, mit möglichst viel Fleisch ernähren sollte, hält sich energisch. Fütterungskonzepte wie B.A.R.F. oder Prey bilden die Zusammensetzungen von Beutetieren nach. Auch Trocken- und Dosenfutter Hersteller werben mit extra hohem Fleischanteil in ihrem Futter und suggerieren mit Bildern und Begriffen, dass sich ein industriell hergestelltes und in Form gepresstes Trockenfutter, an der ursprünglichen Ernährung eines freilebenden Wolfes orientiert. Und Getreide soll auch auf keinem Fall enthalten sein, da ein Wolf niemals Getreidekörner vom Feld essen würde und erst recht nicht verdauen könnte. Für den Wolf mag das auch alles stimmen, aber der Hund ist tatsächlich kein Wolf mehr. Er unterscheidet sich in der Hirnentwicklung und auch in seinen Ernährungsbedürfnissen von seinen Vorfahren. 

Hunde sind die ersten domestizierten Haustiere. Seitdem sich Wolfs- und Hundegenome vor 35.000 Jahren getrennt haben, gab es nahezu keine Menschengruppe mehr, die lange ohne Hund gelebt hätte. Sowohl Menschen als auch Hunde haben durch die Sesshaftwerdung und die Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht vor 15.000 Jahren die Fähigkeit entwickelt Stärke und Milchprodukte zu verdauen. 

»Daher ist es zwar gut gemeint, […] den Hund zu ernähren wie einen Wolf […]; aber eigentlich ist dies angesichts der genetischen Veränderung von Menschen und Hunden in den letzten 15000 Jahren eine Themenverfehlung.«
KURT KOTRSCHAL

Ebenso weisen Gebiss und Darmlänge daraufhin, dass Hunde Allesfresser (Omnivoren) und keine reinen Fleischfresser sind. Hunde haben bunodonte Molaren (hintere Backenzähne), die das Quetschen und Mahlen von pflanzlichen Nahrungsmitteln erlauben. Dieser Zahntyp tritt vor allem bei Omnivoren auf, zu denen auch der Mensch zählt.

Häufig liest man, dass der Hund einen sehr kurzen Darm hätte, und er deshalb pflanzliche Nahrungsmittel schlecht verdauen könne. Seine Darmlänge wird gerne mit der von reinen Pflanzenfressern verglichen. Dieser Vergleich hinkt allerdings. Hunde haben ein ähnliches Verhältnis von Darmlänge zur Körpergröße wie Menschen. 

Entspricht es also der Art des Hundes, ihn ernähren zu wollen, wie seine Vorfahren? 

Wenn man bedenkt, dass Hunde durch Menschen entstanden sind, und sie sich schon immer an die verfügbare Nahrung (des Menschen) angepasst haben, wieso sollte man sie wie Wölfe ernähren?

Fleisch ist ein wertvolles Nahrungsmittel. Überhaupt anzunehmen, dass nur ein möglichst hoher Anteil an tierischen Bestandteilen im Hundefutter das Beste für unsere Hunde sein könnte, ist ein Problem unserer Zeit und ist zum Leid der sogenannten Nutztiere durch industrielle Massentierhaltung entstanden. Niemals war Fleisch als Nahrung so günstig und im Übermaß vorhanden. Allerdings wird dieser Luxus auf den Rücken jener Tiere ausgetragen, die Hunden und Menschen als Nahrung dienen. Auch diese haben ein Recht auf ein artgerechtes und respektvolles Leben. Wie sähe es aus, wenn die in Deutschland lebenden geschätzten 10 Millionen Hunde mit ausschließlich ganzen Beutetieren ernährt werden würden? Ohne Massentierhaltung wäre das nicht machbar.
Dazu stelle ich mir noch die Frage, wie es Hunde bis heute geschafft haben zu überleben, wo doch Fleisch bis vor einem halben Jahrhundert ein Luxusgut war und schon gar nicht täglich auf dem Speiseplan stand. 

Welche Ernährung ist also artgerecht – und für wen?

Welche Bedürfnisse werden in uns geweckt, wenn wir unsere Hunde wieder zu Wölfen machen wollen? Haben wir ein schlechtes Gewissen, dass wir unsere Hunde in unseren Betten schlafen lassen, ihnen Wintermäntel anziehen und sie lieber nach Bällen jagen lassen, als nach Hasen?

Oder sehen wir uns nach Freiheit und Ungezähmtheit und holen uns deshalb Wolfes Bruder nach Hause?

Wie kann eine artgerechte Fütterung von Hunden aussehen? 

Für uns ist es nur logisch, wenn Menschen ihre Hunde mit dem ernähren, was sie auch essen und was sie übrighaben. So, wie sie es schon immer getan haben. Wie für Menschen, ist eine möglichst abwechslungsreiche und vollwertige Ernährung die wahrscheinlich gesündeste. 
Wichtig finden wir, dass wir uns mit dem Thema Ernährung und dazugehörig mit Nachhaltigkeit, Tier- und Naturschutz auseinandersetzen. Nicht nur für unsere Hunde, sondern auch für uns und alle anderen betroffenen Tiere und Pflanzen. 


Quellen:

„Zur frühen Mensch-Tier-Symbiose“, Herrmann Müller-Karpe Hrsg., C.H. Beck München, 1983

„Hund & Mensch“, Kurt Kotrschal, Brandstätter Verlag, 2017

Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands e.V. (ZZF): 
Zahl der Heimtiere in Deutschland deutlich gewachsen. In fast jedem zweiten Haushalt lebt ein Heimtier –Tendenz steigend